Biographien, Lager und Zwangsarbeit
Die Karte zeigt Standorte von Konzentrationslagern in Norddeutschland, in denen aus Ungarn deportierte Personen seit 1944 inhaftiert waren. Erster Haftort in der Region war zunächst das sogenannte „Austauschlager“ Bergen-Belsen. Seit 1944 wurden auch Jüdinnen und Juden, die zuvor in Vernichtungslager verschleppt wurden, ins Deutsche Reich deportiert um hier zur Zwangsarbeit herangezogen zu werden. Dafür wurden sie auch in KZ-Außenlagern untergebracht, die in unmittelbarer räumlicher Nähe zu ihren Arbeitsorten entstanden. Jüdinnen und Juden die zuvor aus Ungarn nach Auschwitz deportiert worden waren, gelangten so ab Mitte 1944 nach Norddeutschland. Weitere Juden aus Budapest kamen Ende 1944 über Deportationsrouten durch das annektierte Österreich.
Aufgrund von neuen Bedarfen an Zwangsarbeit sowie angesichts des Vorrückens der
Alliierten wurden die Häftlinge mitunter mehrfach in andere Lager verlegt.
Nach der Räumung der Außenlager des KZ Neuengamme kamen viele der Häftlinge nach Bergen-Belsen, das
sich aufgrund der unmenschlichen Bedingungen und der akuten Überfüllung zu einem Sterbelager
entwickelte. Gezeigt werden die Lager, die in den hier präsentierten Fallstudien erwähnt werden und
für die im Rahmen des Projektes die Anwesenheit für aus Ungarn deportierte Personen nachgewiesen
werden konnte. Eine
Übersicht aller Außenlager des KZ Neuengamme findet sich hier, weitere
Informationen zum KZ Bergen-Belsen finden sich hier.
Das KZ Bergen-Belsen war 1943 nach Plänen der SS und des Auswärtigen Amtes zunächst zur Unterbringung jüdischer Geiseln gegründet worden, die gegen deutsche Zivilpersonen in alliiertem Gewahrsam ausgetauscht werden sollten. Von Juli bis September 1944 richtete die SS Teillager für verschiedene Häftlingsgruppen ein, dazu gehörte auch das sogenannte „Ungarnlager“. Schnell wurden ihm jedoch weitere Funktionen zugewiesen. Ende März 1944 wurde ein Lagerteil für männliche Häftlinge anderer Konzentrationslager eingerichtet, die zu krank waren, um dort weiter Zwangsarbeit zu leisten. Die SS unternahm wenig, um ein Überleben der kranken Häftlinge zu ermöglichen, so dass ein Großteil von ihnen in Bergen-Belsen starb. Im August 1944 wurde ein Lagerabschnitt für weibliche Häftlinge eingerichtet, die zur Arbeit in der deutschen Rüstungsindustrie gezwungen werden sollten. Innerhalb von wenigen Monaten deportierte die SS etwa 9.000 Häftlinge in das Frauenlager. Die Häftlinge stammten zunächst vor allem aus Polen, wo sie infolge des Warschauer Aufstands verhaftet worden waren; später waren unter ihnen auch viele polnische und ungarische Jüdinnen. Der Großteil der Frauen wurde nach kurzer Zeit in eines der KZ-Außenlager an Standorten deutscher Rüstungsfirmen deportiert. Ab Ende 1944 wurde das KZ Bergen-Belsen zum Ziel vieler Todesmärsche und Räumungstransporte aus den frontnahen Konzentrationslagern. Allein zwischen Dezember 1944 bis Mitte April 1945 kamen so zusätzlich 85.000 Häftlinge nach Bergen-Belsen, so dass das Lager schnell völlig überbelegt war. Auch die Versorgungssituation war katastrophal. Unter diesen Umständen kam es zu einem Ausbruch einer Typhus- und Fleckfieberepidemie, die von der SS kaum bekämpft wurde. Das Konzentrationslager Bergen-Belsen wurde zu einem Sterbelager. Am Standort des ehemaligen Konzentrationslagers befindet sich heute eine Gedenkstätte. (Vgl. Stiftung niedersächsische Gedenkstätten: Bergen-Belsen. Kriegsgefangenenlager 1940–1945. Konzentrationslager 1943–1945. Displaced Persons Camp 1945–1950. Katalog der Dauerausstellung, Celle 2009, S.144–295.)
Das Frauenaußenlager Fallersleben war im Spätsommer 1944 im VW-Werk als Außenlager des KZ Neuengamme eingerichtet worden. In den Unterkünften der Frauen waren zuvor 300 als Metallfacharbeiter ausgewählte jüdische Männer untergebracht gewesen. Die ersten weiblichen Häftlinge waren Jüdinnen, die aus Ungarn nach Auschwitz deportiert und von der SS für einen Arbeitseinsatz ausgewählt worden waren. Später kamen weitere Transporte aus Bergen-Belsen hinzu. Die Häftlinge mussten Panzerfäuste und Tellerminen im VW-Werk produzieren. Im März 1945 kamen etwa 200 Frauen zusätzlich aus dem Außenlager Porta Westfalica-Hausberge in Fallersleben an. Zusammen wurden beide Gruppen am 8. April nach Salzwedel deportiert, bevor alliierte Truppen das VW-Werk befreiten.
Die etwa 1.500 Frauen im KZ-Außenlager Dessauer Ufer (KZ Neuengamme) kamen mit zwei Transporten aus Auschwitz. Der erste Transport im Juli 1944 bestand etwa zur Hälfte aus als Jüdinnen verfolgten Frauen, die erst kurz zuvor aus dem Ghetto Theresienstadt in Auschwitz angekommen waren und überwiegend aus der damaligen Tschechoslowakei stammten. Die andere Hälfte bestand aus Jüdinnen, die aus dem kurz zuvor von den Deutschen besetzten Ungarn deportiert worden waren. Einige der Frauen aus dem besetzten Ungarn stammten aus Gebieten, die erst 1943 durch Ungarn selbst besetzt oder annektiert worden waren und zuvor zur Tschechoslowakei und zu Rumänien gehört hatten. Der zweite Transport im August 1944 bestand vor allem aus Jüdinnen, die zuvor aus dem Ghetto Litzmannstadt (Łódź) nach Auschwitz gekommen waren. Viele von ihnen stammten aus Polen, einige von ihnen aber auch aus Deutschland. Die Frauen mussten vor allem Trümmer im Hamburger Hafen räumen, der zum Ziel alliierter Bombardements geworden war.
Im September 1944 wurde das Frauenaußenlager am Dessauer Ufer aufgelöst und die Frauen auf mehrere in diesem Zuge gegründete Frauenaußenlager in Sasel, Wedel und Neugraben verteilt. Kurz darauf wurde am selben Standort ein Männeraußenlager des KZ Neuengamme eingerichtet.
Am 27. September 1944 wurden etwa 500 ungarische und tschechische Jüdinnen, die zuvor am Dessauer Ufer und in Wedel inhaftiert waren, in das Außenlager Eidelstedt des KZ Neuengamme deportiert. Hier mussten sie Zwangsarbeit beim Bau von Behelfswohnheimen für die Hamburger Zivilbevölkerung und bei Trümmer- und Schneeräumungen im Stadtgebiet leisten. Anfang April 1945 wurden in Erwartung der baldigen Befreiung Hamburgs die Hamburger Außenlager geräumt und die Häftlinge aus dem Stadtgebiet deportiert. Die Häftlinge des Außenlagers Eidelstedt wurden nach Bergen-Belsen deportiert, wo viele von ihnen starben.
Das Lager wurde von KZ-Häftlingen aus dem Außenlager Hannover-Stöcken auf dem Gelände der Continental-Gummiwerke im November 1944 errichtet. Es gehörte zum Außenlagersystem des KZ Neuengamme. Insgesamt waren etwa 840 zumeist jüdische Männer dort untergebracht, die größtenteils zuvor im Außenlager Hannover-Stöcken inhaftiert waren. Die Häftlinge mussten Zwangsarbeit für den Bau eines unterirdischen Stollens für die Continental-Gummiwerke und die Maschinenfabrik Niedersachsen Hannover leisten. Am 5. April wurde der Großteil der Häftlinge nach Bergen-Belsen getrieben. Die noch im Lager verbliebenen Häftlinge wurden am 10. April 1945 von amerikanischen Truppen befreit.
In einem Forstgebiet an der Bahnstrecke Bremen–Bremerhaven befand sich während des Zweiten Weltkrieges eine Munitionsanstalt (Muna) der deutschen Luftwaffe. In Munitionsanstalten wurden Kampfmittel und Munition aus Zwischenprodukten zusammengesetzt und gelagert. In der Muna Lübberstedt-Bilohe mussten auch osteuropäische Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und italienische Militiärinternierte sowie KZ-Häftlinge arbeiten. Letztere kamen im Sommer 1944 aus Auschwitz, wohin sie fast alle kurz zuvor aus Ungarn deportiert worden waren. 500 jüdische Frauen mussten hier bis Ende April Zwangsarbeit in den Produktionsanlagen leisten. Auch das Außenlager Lübberstedt-Bilohe (KZ Neuengamme) wurde geräumt, bevor alliierte Truppen das Lager befreien konnten. Die Frauen wurden in Viehwagons gezwungen, die eineinhalb Wochen durch Norddeutschland irrten, bis die überlebenden Frauen nach einem britischen Fliegerangriff in der Nähe Eutins befreit wurden.
Das Frauenaußenlager Porta Westfalica-Hausberge war erst im Februar 1945 eingerichtet worden. In Porta Westfalica befanden sich zu diesem Zeitpunkt bereits zwei Männeraußenlager des KZ Neuengamme, die Häftlinge sollten alte Bergmannsstollen zu unterirdischen Produktionsstätten umbauen. In einem dieser Stollen sollten die etwa 1.000 Frauen des neuen Frauenaußenlagers Radioröhren für die Firma Philipps und ihre Tochterfirmen herstellen. Die Häftlinge waren vor allem Jüdinnen, die aus den Niederlanden und Ungarn nach Auschwitz deportiert worden waren. Ein Teil von ihnen hatte bereits in einem Außenlager des KZ Groß-Rosen Radioröhren produzieren müssen, bis diese Produktionsstätte im Januar 1945 angesichts der sich nähernden sowjetischen Armee geräumt wurde.
In Salzwedel konnte die Draht- und Metallwarenfabrik vom deutschen Rüstungsboom profitieren; bereits 1937 war sie mit 600 Beschäftigten zum großen Industriebetrieb in der Stadt gewachsen. Auch hier wurde auf ausländische Zwangsarbeiter zurückgegriffen. 1944 wurde ein Lager, das bis dahin für osteuropäische Zwangsarbeiterinnen genutzt worden war, zu einem Außenlager des KZ Neuengamme umgestaltet.Im Spätsommer 1944 kam hier der erste Transport von weiblichen KZ-Häftlingen an, die in Auschwitz für die Arbeit selektiert worden waren. Die Gruppe bestand vor allem aus Jüdinnen, die erst kurz zuvor aus Ungarn oder aus von Ungarn annektierten Gebieten deportiert worden waren. In der Folgezeit wurden weitere weibliche KZ-Häftlinge in das neue Außenlager deportiert. Anders als der erste Transport waren sie aber nicht direkt nach Salzwedel, sondern zunächst in das Konzentrationslager Bergen-Belsen deportiert und dort für die Arbeit in Salzwedel ausgewählt worden. Am 14. April 1945 wurde das Lager durch amerikanische Truppen befreit. Nur wenige Kilometer entfernt hatten SS, Wehrmacht und Volksturmeinheiten sowie Hitlerjungen am Tag zuvor 1.061 männliche KZ-Häftlinge beim Massaker von Gardelegen in einer Scheune verbrannt.
1938/1939 hatte die ein Jahr zuvor gegründete Volkswagen GmbH ihr Werk in der Nähe von Fallersleben im heutigen Wolfsburg errichtet. Nach Kriegsbeginn wurden hier nicht, wie ursprünglich geplant, Autos für die deutsche Zivilbevölkerung produziert, sondern Rüstungsaufträge übernommen. Dabei griff der Volkswagen-Konzern auch auf die verschiedenen Formen nationalsozialistischer Zwangsarbeit zurück. Ende 1944 stellten Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter zwei Drittel der Belegschaft, insgesamt mussten etwa 200.000 Menschen Zwangsarbeit bei Volkswagen leisten, viele von ihnen überlebten die Arbeitsbedingungen nicht. Neben zivilen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, sowjetischen Kriegsgefangenen und italienischen Militärinternierten betraf dies auch insgesamt circa 5.000 KZ-Häftlinge. 300 von ihnen waren als Metallfacharbeiter im KZ Auschwitz aus einer Gruppe aus Ungarn deportierter Juden ausgewählt worden, um die Kernbelegschaft einer unterirdischen Raketenproduktion einer VW-Tochter zu bilden. Hierzu wurden sie zunächst im VW-Werk ausgebildet, in dem sie auch untergebracht waren. Nachdem Teile des Werkes durch alliierte Bombardierung zerstört worden waren, wurden die 300 Männer ins nordfranzösische Thil deportiert.
Seit September 1944 wurden in dem Außenlager Wedel des KZ Neuengamme 500 ungarische und tschechische Jüdinnen inhaftiert, die zuvor am Dessauer Ufer gewesen waren und Zwangsarbeit bei Räumungsarbeiten im Stadtgebiet leisten mussten. Nach zwei Wochen wurde das Lager geräumt und die Frauen in das Außenlager Eidelstedt gebracht.